3/12/2018


Der Traum

Lilli hört aufmerksam zu, während sie von den Trauben eine nach der anderen  in den Mund steckt. Lilienprinz schenkt beiden Apfelsaft nach und fährt fort:
„Bevor ich die Reise begann, hatte ich einen Traum. Die Mohnblumenfrau kam zu mir, öffnete einen schwarz-weißen Sack aus Kuhleder und zeigte mir einen kleinen, dunkel glänzenden Becher. Sie gab ihn mir mit der Aufforderung, daraus zu trinken. Er war leer. Fragend schaute ich sie an. Sie nickte und ich setzte ihn an meine Lippen. Kaum getan, spürte ich eine süße Flüssigkeit und trank. Sie erklärte mir, dass dieser Saft mich stärken würde und befähigen, auf meiner Reise Dinge vorherzusehen, was auf mich wartete. Immer, wenn ich spürte, dass die Kraft mich verlassen würde, sollte ich den Becher zum Mund führen und daraus trinken. So würde meine Kraft zurückkehren mit dem Saft, den mir der Becher geben würde.
Wieder griff sie in den Sack und zog einen Strauß mit Mistelzweigen hervor. Er war schon ein wenig trocken, nur die gelbgrünen Beeren schimmerten frisch und glasig an den Zweigen.
Sie erklärte, dass diese Beeren mir zeigen würden, wie es meiner Mutter und meiner Schwester ging. Wenn sie glänzten, bedeutete dies, dass es den beiden gut ginge. Sollten sie trüb und schrumpelig aussehen, bestünde Gefahr für die beiden. Wieder griff sie in den Sack und zog eine Kugel heraus. Sie sah aus wie ein Spiegel. Sie riet mir, diese Kugel immer in meiner Hosentasche zu tragen. Sollte ein gefahrbringendes Wesen auftauchen, so sollte ich ihm die Kugel entgegenstrecken. Das sollte das Wesen blenden und lähmen.

Außerdem erklärte sie mir, dass der Saft auch meinem Pferd helfen könnte, sollte es sich verletzen oder erschöpft sein. Auch erlaubte sie mir, diejenigen von dem Saft trinken zu lassen, von denen ich glaubte, sie würden ihn brauchen. Sie beendete ihre Anweisungen noch mit dem Rat, in die Spiegelkugel zu schauen, sollten die Mistelbeeren sich trüben. So sollte ich sehen, wie es um meine Schwester und meine Mutter steht. Dann legte sie ihre Hand auf meine Stirn und verschwand.
Als ich am Morgen aufwachte, fand ich neben meinem Bett einen dunkelglänzenden Becher, einen Strauß Mistelzweige, dessen Beeren matt wie Perlen glänzten und eine silbern spiegelnde Kugel. Der Traum fiel mir ein. Ich nahm die Dinge und verwahrte sie in einer Truhe.


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